Verbreitungsgebiete und Pflanzengesellschaften


Besiedlung des Alpenraums

Die heutige Alpenflora setzt sich zusammen aus:
  • Vertretern der ursprünglichen tropischen Vegetation (z.B. Hauswurz)
  • Zuzüglern aus anderen Gebirgsregionen wie dem Kaukasus (z.B. Steinbrech)
  • Zuzug von Tieflandgewächsen aus Nordeuropa (z.B. Habichtskraut)
  • Zuzügler aus dem Mittelmeerraum (z.B. Knabenkraut)
In Eiszeiten und Wärmeperioden wurden die jeweiligen Siedlungsgebiete verschoben und durchmischt. Einzelne Erhebungen ragten während der Eiszeit aus den Eismassen heraus (sog. "Nunataks") und erhielten sich so eine eigene, tw. endemische Flora (z.B. Monte Baldo am Gardasee).

Besonderheiten des alpinen Lebensraums

Faktoren
  • Schneedecke bietet Schutz gegen Kälte, Wind und Austrocknung, garantiert relativ hohe Bodentemperatur
  • starke Temperaturschwankung Tag/Nacht
  • kurze Vegetationsperioden
  • Wassermangel auf felsigem Untergrund und Schutt
  • Schäden durch Schneebruch, Lawinen, Geröllbewegung
  • unterschiedlicher Bewuchs von schneegefüllten Mulden und freigewehten Kuppen
  • starke UV-Strahlung bei Schönwetter, Licht-/Wärmemangel bei Schlechtwetter
  • wenig Mikro-Organismen, daher wenig Abbau von Verwelktem, wenig Nährstoffe
Anpassung
  • Polsterform (Schutz gegen Kälte und Wind; Innentemperatur tw. 20° höher als Aussentemperatur)
  • lange Wurzeln (tw. 5x länger als gleiche Pflanzenart im Flachland)
  • kleine, behaarte oder ledrige Blätter vermindern Verdunstung
  • reduziertes Größenwachstum
  • beschleunigte Vegetation
  • Knospenanlage wird bereits im Vorjahr vorbereitet


Alpine Lebensbereiche und Pflanzengesellschaften

Die großräumigste Einteilung erfolgt nach geologisch-ökologischen Faktoren und Höhenstufen:

Geologie/Ökologie
  • Kalkgestein: Nord- und Südalpen -- ursprüngliche magmatische Erdkruste -- basisch -- relativ warm und trocken
  • Silikatgestein: Zentralalpen -- Meeressedimente, Riffe von Kalkalgen und Korallen -- sauer
Höhenstufen
  • bis 500m: kolline Stufe
  • bis 1000m: submontane Stufe
  • bis 1500m: montane Stufe
  • bis 2000m: subalpine Stufe
  • bis 3000m: alpine Stufe
  • ab 3000m: nivale Stufe
Wichtige Faktoren sind die Waldgrenze und die sog. Schneegrenze (Beginn der Höhenlage mit weniger als 2 Monaten Schneefreiheit), dazu natürlich auch Sonnen- und Windexposition, Schneemengen etc.
Besondere Lebensräume sind sog. "Schneetälchen" (meist N-seitige Mulden der oberen alpinen Zone auf Silikat mit einer Aperzeit von nur 2-3 Monaten) und "Lägerflure" (jahrzehntelange Nutzung durch Weidevieh führt gebietsweise zu starker Dünger-Anreicherung).

Vikariismus
Eng verwandte Pflanzenarten lösen sich über Lebensraumgrenzen hinweg ab und vertreten sich gegenseitig. Beispiele:
  • Kochs Enzian (Gentiana acaulis) vertritt auf Silikatgestein den nur auf Kalk vorkommenden Großblütigen Enzian (Gentiana clusii)
  • Die Rostrote Alpenrose (Rhododendron ferrugineum) vertritt auf sauren Silikatböden ihre kalkliebende Verwandte, die Bewimperte Alpenrose (Rhododendron hirsutum)
  • Oberhalb von etwa 2300m wird der scharfe Hahnenfuss (Ranunuculus acris) vom Berg-Hahnenfuss (Ranunculus montanus) abgelöst

Übersicht der Alpenpflanzen in ihrem Lebensraum

Verbreitungsgebiete und Pflanzengesellschaften im Alpenraum
Frei nach "Alpenpflanzen im Lebensraum, Herbert Reisigl/Richard Keller"

 

Gemeinsamer Lebensraum Slikat und Kalk

Wald: bis ca. 1500m meist als Laub- oder Mischwald (s.u), mit zunehmender Höhe verbreitet als Nadelwald
Standort: Obere Waldgrenze Kalk: 1500-1800m, Silikat: 1600-2400m
Typischer Bewuchs Kalk: Fichten, Tannen, in tieferen Lagen auch Buchen oder -in den Südalpen- Eiche
Typischer Bewuchs Silikat: Fichten, Grünerlen, in höheren Lagen auch Zirben, Lärchen, Föhren

Mardetum: kurzwüchsiger Borstgrasrasen ("Bürstlingsweide"); oft in Almgebieten, resistent gegen Viehtritt
Standort:  900-2500m, magere, sauere Böden; mäßig feucht bis mäßig trocken; volle Schneeabdeckung, schneefreie Zeit: ca. 6-8 Monate; tiefgründiger Boden (bis 50cm)
Typischer Bewuchs: Heidekraut, Arnika, Gold-Fingerkraut, Alpen-Kuhschelle, Tüpfelenzian, Gelber Enzian, Stengelloser Enzian, Bärtige Glockenblume, Knolliges Läusekraut, Pyramiden-Günsel, Ziestblättrige Teufelskralle, Goldpippau, Habichtskraut-Arten
Besonderheit: eigentlich ein typischer Bewohner saurer Silikatböden; kann aber bei entsprechender Versäuerung auf Kalk vorkommen

Legföhren: alias Latsche, Latschenkiefer, Krüppelkiefer; strauchartiger, krummer Wuchs mit Höhen zwischen 1 und 3 m
Standort:  bis 2300m; spezialisiert auf mäßig trockene, felsige, sehr nasse, kalte oder von zerstörerischen Schneebewegungen (Lawinen) geprägte Standorte; können selbst Hänge besiedeln, die für andere Großpflanzen zu steil oder instabil sind
Typischer Bewuchs: kommt entweder als ausgedehnter Reinbestand vor, -in tieferen Lagen- auch in Gesellschaft mit Zirben und Lärchen oder -in höheren Lagen- zusammen mit Alpenrosen-Gestrüpp

Loiseleurietum: Gemsheide mit spalierförmig wachsenden Kleingehölzen und Strauchflechten
Standort:  2000-2500m; spezialisiert auf windexponierte, ausgesetzte und daher lange schneefreie Felsregionen und Grate; kaum Schneeschutz; flachgründiger Boden (5-10cm)
Typischer Bewuchs: Gemsheide (namensgebend), Schneeflechte, Halbkugelige Teufelskralle, Berghauswurz, Zwerg-Primeln, Klebrige Primel, Alpen-Fettkraut, Alpen-Glockenblume, Brillenschötchen

Elynetum: vermutlich mit der letzten Eiszeit "eingewanderter" Nacktried-Rasen mit bester Kälteresistenz; speichert Feuchtigkeit und Wärme in einem Horst aus verwelktem Material
Standort:  2200-2800m; spezialisiert auf sehr windexponierte, trockene Lagen mit wenig schützender Schneeabdeckung; tiefgründige Böden
Typischer Bewuchs: Rundblättriger Enzian, Bewimpertes Sandkraut, Stengelloses Leimkraut, Einköpfiges Berufkraut, Gletschernelke, Frühlingsenzian, Schnee-Enzian, Alpen-Sonnenröschen

Lebensraum Slikat

Zwergsträucher
Standort: bis 2400m; in niedrigeren Lagen mit losem Baumbestand; verschiedene Ausprägungen je nach Sonneneinstrahlung: Bärentrauben-Heide (Junipero-Arctostaphyletum) an wärmebegünstigten Standorten, Alpenrosen-Bärenheide (Rhododendro-Vaccinietum) an schattigen Standorten
Typischer Bewuchs Alpenrosen-Bärenheide: Rostblättrige Alpenrose, Moosglöckchen, Hainsimsen, Gebirgsrose, Tüpfelenzian
Typischer Bewuchs Bärentrauben-Heide: Heidekraut, Katzenpfötchen, Zichorienblättriges Habichtskraut, Frühlingsküchenschelle, Großblütiges Fingerkraut, Kugelteufelskralle, Alpen-Goldrute, Rostblättrige Alpenrose, Preisel- und Heidelbeere

Curvuletum: saurer Krummseggen-Rasen, oft mit den Silikat-Schneeböden ein Mosaik bildend; ausgeprägte Ost- und West-Alpen-Varianten
Standort: 2300-2800m; besiedelt vorwiegend glaziale Trogschultern und trockene, mäßig warme Kuppen mit vollem Schneeschutz (Schneefreiheit: 4-7 Monate)
Typischer Bewuchs: Kugelblumenblättrige Teufelskralle, Gänseblümchen-Ehrenpreis, Zwerg-Augentrost, Einblütiges Berufkraut, Frühlingsküchenschelle, Zwerg-Primel, Moschus-Schafgarbe, Berg-Hauswurz, Alpen-Mannsschild, Berg-Nelkenwurz

Salicetum herbaceae: Schneeböden im Silikat; bevölkert vorwiegend Mulden und bildet ein Mosaik mit dem Krummseggen-Rasen, der Kuppen und Geländeschultern besiedelt
Standort: 2200-2800m; dauerfeucht, kühl, hohe Schneeabdeckung; schneefreie Zeit: 1-4 Monate; flachgründige Böden
Typischer Bewuchs: Dreigriffel-Hornkraut, Zwerg-Hahnenfuß, Kleine Soldanelle, Alpen-Schaumkraut, Zweiblütiges Sandkraut, Alpen-Mauerpfeffer

Polsterpflanzen
Standort: Sub-nivale und nivale Stufe oberhalb von 2800 bzw. 3000m; Bewuchsgrenze bei ca. 4000m; lange Schneeabdeckung
Typischer Bewuchs: Alpen-Hahnenfuß, Alpen-Mannsschild, Steinbrech-Arten, Gletscher-Fingerkraut, Kugelblumenblättrige Teufelskralle, Kurzblatt-Enzian

Kleinstbewuchs: Flechten sind symbiotische Lebensgemeinschaften zwischen Pilzen und Algen bzw. Bakterien und besiedeln weltweit die jeweils extremsten Standorte. Die Photosynthese bertreibenden Algen oder Cyanobakterien (Photobionten) ernähren den Pilz, während dieser mit seinem Geflecht den Symbiosepartner vor übermässiger Austrocknung und Sonneneinstrahlung schützt
Standort: Sub-nivale und nivale Stufe oberhalb von 2800 - 3000m; Moos-Schneeböden; Bewuchsgrenze auf ca. 4000m
Typischer Bewuchs: Flechten, Moose, Rasenfragmente (Krummsegenrasen, Nacktriedrasen)

Lebensraum Kalk

Caricetum ferruginei: dichter, hochwüchsiger Rostseggenrasen, der viel Wasser und Nährstoffe benötigt und daher eher kleinflächig vorkommt
Standort: 2000-2500m; schattige und feuchte Lagen
Typischer Bewuchs: Berg-Hahnenfuß, Beblättertes Läusekraut, Witwenblume, Gold-Pippau, Trollblume, Gletscher-Tragant, Alpen-Kuhschelle, Narzissen-Windröschen

Festucetum violacea: Violettschwingelrasen
Standort: 1800-2300m; spezialisiert auf feuchte, steilere Hänge, die früh ausapern; tiefgründige Böden
Typischer Bewuchs: Schwarzer Germer, Witwenblume, Südalpen-Lauch, Feld-Beifuß, Feuerlilie, Felsen-Leimkraut

Thlaspietum rotundifolii: Täschelkraut-Flur
Standort: 2500-2800m; auf Schutthalden; charakterisiert durch wenig Wasser (schnelle Versickerung), dünne Erdschicht, ständige Bodenbewegung
Typischer Bewuchs: Täschelkraut, Zwerg-Glockenblume, Schafgarbe, Gänsekresse, Alpen-Leinkraut, Alpen-Pestwurz, Großblütiger Gemswurz, Silberwurz, Endivien-Habichtskraut, Gletscher-Hahnenfuß, Alpen-Mannschild

Seslerio-Semperviretum: hochstengeliger Blaugras-Horstseggenrasen, besonders artenreich, der Inbegriff einer "Bergblumen-Wiese"
Standort: 2000-2900m; spezialisiert auf warme Steilhänge, die früh ausapern; tiefgründige Böden
Typischer Bewuchs: Stengelloses Leimkraut, Gelber Enzian, Läusekraut-Arten, Edelweiß, Gemswurz-Greiskraut, Flockenblumen-Arten, Alpen-Aster, Alpen-vergissmichnicht, Brillenschötchen, Alpen-Pippau, Aurikel, Steinröschen, Alpen-Kuhschelle

Firmetum: kälte- und windresistenter Polsterseggenrasen; die halbkugeligen Polster sitzen lose auf dem Geröll auf
Standort: 2000-3000m; exponierte Felsregionen und Grate, die früh ausapern; flachgründige Böden
Typischer Bewuchs: Silberwurz, Steinbrech-Arten, Clusius-Enzian, Alpenhelm, Alpen-Fettkraut, Stengelloses Leimkraut, Alpen-Hahnenfuß, Pracht-Primel

Androsacetum helveticae: Schweizer Mannschild-Flur; der Lebensraum "Felsspalte" ist durch wenig Wasser, extreme Temperaturschwankung und hohe Sonneneinstrahlung charkterisiert; die Bewohner passen sich durch Polsterwuchs und besonders lange Wurzeln an
Standort: 2500-2800m; spezialisiert auf Felsspalten und -ritzen
Typischer BewuchsSchweizer Mannschild, Felsenblümchen, Gänsekresse, Fingerkraut-Arten, Moos-Nabelmiere